Die Nacht war zu kurz - nur 5 Stunden Schlaf. Punkt 9 fängt der erste in Konkurrenz laufende Wettbewerbsbeitrag im Berlinale Palast an. Also schnell noch einen Mocha zum Wachwerden bei McDonald's gekauft und rein. Einige Leute stehen an, doch mit meiner gelben Akkreditierung und dem kleinen Wort JURY komme ich ohne anstehen hinein.
9 Uhr, Berlinale Palast
Dänemark zeigt seinen Wettbewerbsbeitrag LILLE SOLDAT (LITTLE SOLDIER) (A. Olesen). Eine traumatisierte Kriegsheimkehrerin muss sich im normalen Leben zurechtfinden. Dazu nimmt sie einen Job als Fahrerin in der Firma ihres Vaters an, der seine nigerianische Freundin mit anderen Afrikanerinnen als Prostituierte arbeiten lässt. Das hört sich aufschlussreich und höchst emotional an, doch leider entwickelt sich die starke Ausgangsidee nur zu einem durchschaubaren Gewebe mit dem Beigeschmack eines unausgereiften Studentenfilms. Die etwas zu behutsame Kamera und die immer gleich fad dreinblickende Hauptdarstellerin geben dem Werk etwas Unfertiges.
MaxX' Bar. Einen Apfelsaft später und die Gewissheit, dass ich mit meiner Meinung in der Jury nicht allein dastehe, laufen wir wieder durchs milde Berliner Pressegemenge zum Palast...
12 Uhr, Berlinale Palast
Wir sind 5 vor 12 im Saal, drei Plätze werden uns zugewiesen in einer Reihe die eigentlich abgesperrt ist: Doch zu dieser Pressevorführung ist es knackenvoll. Das Licht erlischt und wir fühlen uns wie die offizielle Wettbewerbsjury, denn wir drei sitzen auf deren Plätzen. Stephen Daldry's THE READER nach dem Roman von Bernhard Schlink mit einer mitreißend authentisch spielenden Kate Winslet (mit dieser Rolle sechsfach oscarnominiert) und einem überzeugenden David Kross (KRABAT). Der Film ist besetzt mit vielen leider zu bekannten deutschen Gesichtern und erzählt die Geschichte eines Mannes, der als 15-jähriger eine Affäre mit einer Straßenbahnschaffnerin in einer westdeutschen Kleinstadt anfängt und diese Frau Jahre später im Gerichtssaal wieder trifft.
Der Roman war kontrovers, die Verfilmung ist es nicht minder. Doch klappt das mit den Sprachen nicht. Die internationale Produktion ist in englischer Sprache (für den Weltmarkt) gedreht und spielt zu 95 % auf deutschem Boden. Alle sprechen Englisch, selbst die Bücher sind auf Englisch! Doch die Ladenbeschriftungen und die Kinder in der Schule - welch Wunder - man schreibt und spricht Deutsch!
Vielleicht ist es besser, den Film außer Konkurrenz laufen zu lassen, er ist neben THE INTERNATIONAL mein Favourit. Danach kam etwas Erschütterndes, dass ich ganz schnell vergessen möchte!
Wir stärken uns mit asiatischem Glutamatfraß und hechten in den schon geschlossenen Saal.
15.30 Uhr, CinemaxX 7
Die offizielle Jury, ohne Tilda Swinton, sitzt im Saal. Ich sitze mit einem Kollegen in Reihe 1! François Ozon (8 FRAUEN) zeigt mit RICKY ein stümperhaftes, uninteressantes, mies besetztes Unterschichtenmärchen aus den Banlieues von Paris. Es wäre schade hier Platz mit Buchstaben zu verschwenden - nur soviel: Dumm-naive Mutter lacht sich einen ebensolchen Zugezogenen an, wird schwanger, dem Kind wachsen Flügel, am Ende f l i e g t es weg. Warum hat man Ozon nicht gleich ans Kind rangebunden? Und die noch viel schlimmere Frage: Warum gehe ich nicht raus!? Ich bin feige.
Das nächste Mal muss ich aber, sagt mein Spawiener. Er hat recht.
Ich bin geschockt und ruhe mich im Büro des Forums aus. Dort arbeitet eine Bekannte und ich bekomme etwas Abwechslung und Kekse.
Ich will einen guten Abschluss haben und gehe zum Forum.
19.30 Uhr, Sony Center, CineStar 8
Menschenmassen wollen den us-amerikanischen Independentfilm THE EXPLODING GIRL von Bradley Rust Gray sehen - einige müssen auf der Treppe sitzen. Der Film hat eine ausgesprochen exakte und asiatisch-sensible Bildsprache (Kamera: Eric Lin) und wurde auf einer RED 4K-Kamera gedreht. (Eine äußerst hoch auflösende Digitalkamera. - Woher haben die das Geld?) Eine 20-jährige Collegestudentin besucht ihre Mutter in den Ferien in New York City und kommt ihrem alten Schulfreund näher als zuvor. Die Geschichte lahmt und ist eigentlich in 20 Minuten erzählt. Warum haben die Filmemacher keine neuen Ideen mehr? Ich gehe mit Hunger nach Haus.
Eine Soldatin küsst eine Prostituierte - ein Junge eine Frau - eine Mutter ihr Flügelbaby und eine amerikanische Jugendliche ist zum Küssen zu jung. Wird es besser? Ich hoffe es so sehr!
was willst du schnell wieder vergessen? du kannst doch nicht die interessanten geschichten weglassen!!!!die freundin
AntwortenLöschenDas Erschütternde bezog sich auf den Film von Ozon: RICKY. Der war so schlecht, da möchte man den Regisseur ohrfeigen!
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