Donnerstag, 18. Februar 2010

BERLINALE 2010 - 8. Tag

Ein Abend am Potsdamer Platz.

9.00 Uhr Berlinale Palast

Wieder ist Jasmila Zbanic im Wettbewerb als Regisseurin vertreten. 2007 hatte die kroatische Filmemacherin auf der Berlinale mit ihrem Film ESMAS GEHEIMNIS den Goldenen Bären bekommen. NA PUTU spielt wieder in Kroatien. Die bildhübsche Stewardess muss mit ansehen, wie sich ihr arbeitslos gewordener Mann zu einem konservativen Muslim verändert. Die muslimische Gesellschaft lebt dort an einem See nach ihrem Bräuchen, außerhalb der Stadt. Die Kinder werden unterrichtet, Männer und Frauen werden separiert, alles wirkt fremd. Wir erleben alles aus der Perspektive der Frau: anfangs noch offen und interessiert, dann enttäuscht, dann wütend. Die Frau ist weniger wert in dieser anderen Welt.
Ein behutsamer, fast dokumentarischer Blick auf dieses Paar wird uns offenbart. Trotzdem schafft der Film es nicht mich gefangen zu nehmen. Zu fremd ist mir diese Problematik, zu starr die Mimik der Hauptdarstellerin. Interessant, aber kein essentiell konzentrierter Film.
Nach einem Kaffee bei McDo fühlen wir uns scheinbar gestärkt, für alles was da kommen mag.
Doch wissen wir zu diesem Zeitpunkt nicht, was für ein Grauen uns erwartet.

12.00 Uhr Berlinale Palast
JUD SÜSS - EIN FILM OHNE GEWISSEN ist der Titel dieses deutschen Wettbewerbsbeitrages von Oskar Roehler (DIE UNBERÜHRBARE). Der Saal ist voll, die Internationale Jury hat Platz genommen. Der Vorhang hebt sich.
Hier sollte eigentlich die Geschichte zur Entstehung des bekanntesten Propagandafilms des Dritten Reiches JUD SÜSS erzählt werden.
Aber, was soll das?
Deutsche Darsteller versuchen sich als Klischee-Nazis in Sin City-Ästhetik; die Juden sehen aus, als kämen sie aus einer Nathan-der-Weise-Inszenierung der 1930-er Jahre. Alle agieren in einem künstlich-armseligen und entfärbten Filmatelier und schwanken bei ihrem Spiel zwischen mieser Komödie und Laienfilm.
Wir müssen laut lachen, als sich die Obernymphomanin des deutschen Fernsehfilms Gudrun Landgrebe auf einem Berliner Dachboden im nächtlichen Bombenhagel von hinten nehmen lässt. Anders kann man dies leider nicht beschreiben. Dazu ruft sie "Weiter Jude, weiter Jude." zu Marian-Darsteller Tobias Moretti. Wir sind, mit den 3 Österreicherinnen hinter uns, die Einzigen im Saal die nur noch lachen können. Die Journalisten im Kinosaal wirken irgendwie paralysiert, oder tot. Keine adäquate Reaktion beim Publikum.
Und es geht weiter: Moritz Bleibtreu als Göbbels-Laien-Karikatur, dramaturgische Geschichtsverfälschung - zum Glück wurde auf Hitler verzichtet!
Am Ende schäme ich mich als Deutscher für diesen Film.
Als ganz zum Schluss eingeblendet wird, wie viele Juden im 2. Weltkrieg vergast wurden, müssen wir im totenstillen Kino als Einzige laut stöhnen über diese unerträgliche Peinlichkeit. Eiskalt schiebt Roehler damit seinem Werk unter den Mantel historischer Aufarbeitung. Es ist nicht zu überbieten!
Erst im Abspann hören wir einige Buhrufe - die Zuschauer sind offenbar zur Besinnung gekommen!
So unseriös und lächerlich mit so einem ernsten Thema umzugehen, zieht mir die Schuhe aus. Peinlich für dieses Festival und für die anderen Beiträge im Wettbewerb. Das hat Berlin nicht verdient.
Ein jüdisch-amerikanische Journalistin saß neben mir. Wie sie mir draußen erzählt, hat sie sich über mein Stöhnen am Ende aufgeregt. Dann spricht sie mich jedoch an und ich erkläre ihr alles. Sie ist meiner Meinung.
Gerade dieses Gespräch hat mich sehr gestärkt. Es ist der Gedankenaustausch mit Fremden, der einen Selbst zum Nachdenken anregt. Nur auf so einem internationalen Festival ist dies möglich. Jetzt weiß ich wieder, warum ich mich für die Jury beworben habe...
Auf der Pressekonferenz zum Film interviewt der Moderator extra lang das Team. Wahrscheinlich will er damit kritische Fragen der Presse unterbinden. Es kommen dann nämlich keine! Alles nehmen den Film als Drama mit "clowneskem Göbbels" (O-Ton M. Bleibtreu) ernst.
Tagesspiegel und FAZ beschäftigen sich tags darauf ernsthaft mit diesem Machwerk. Es wird nicht über die unerhörten historischen Fehler geschrieben. Die Leistungen der Schauspieler werden gelobt, die Regie wird gelobt. Bekommen die alle Geld von der Produktion?

16.00 Uhr CinemaxX 7
Wir haben uns beruhigt. Aus Argentinien stammt diese schöne kleine Familiengeschichte über eine Hausfrau, die ihre Leidenschaft fürs puzzlen entdeckt. ROMPECABEZAS von Natalia Smirnoff funktioniert. Alles stimmt: die Geschwindigkeit, die Schauspieler, die Kamera. Dieser Film will nicht mehr sein, als er ist. Anschauen.

20.00 Uhr Urania
SHAHADA ist ein dreigeteilter Episodenfilm, der in Berlin spielt. Eine Muslimin die illegal abtreibt und mit ihrem Glauben in Konflikt gerät; ein Polizist, der seine Vergangenheit aufarbeitet; ein junger Muslim, der sich in seinen Freund verliebt. Nicht chronologisch geschnitten und eine realistische Kamera - trotzdem, die Darsteller reagieren komisch, unverständlich. Mir gefallen nur Episoden dieses Films.
Morgen ist unser letzter Tag als Jury. Ich bin gespannt, ob da noch was kommt.

Um wenigstens eine Party mitzunehmen, gehen wir auf die Party der filmreichsten Sektion des Festivals. Das Berlinale Forum (des jungen Films) feiert mit Filmemachern und -beteiligten, sowie Mitarbeitern und Kollegen ihre Abschlussparty in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Leeres Haus. Wir sind um elf dort und die Bereiche Seitenfoyer, Sternfoyer, der Grüne und Rote Salon sind leer. Die Gäste kommen spärlich. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Einladungen seit diesem Jahr nur noch für eine Person gelten. Begleitungen sind unerwünscht. So kann man auch Geld sparen.
Wir kommen mit drei Einladungen, die wir zufällig bekommen, auch alle drei rein u betrinken uns mit allem, was da ist: Wein, Bier und für mich Wasser.
Im Laufe des Abends wird es voll. Die Musik ist gut, ich bin aber zu fertig um zu tanzen. Um 2 gehen wir und Renée Zellweger ist nicht aufgetaucht. Schade.

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